Interview im Leader vom Juni/Juli 2018 (Malolo Kessler) Seit gut zwei Jahren gibt es an der HSG ein Teaching Innovation Lab. Dieses fördert innovative Lehrformate an der Universität St.Gallen, die unter Einsatz digitaler Hilfsmittel Lernprozesse unterstützen. Geleitet wird das Lab von Jacqueline GasserBeck. Im Interview erklärt sie, wie weit Lehren und Lernen an der Universität bereits digitalisiert sind, wo diese Transformation an Grenzen stösst und wieso sie sich als Juristin für die Digitalisierung einsetzt. Jacqueline Gasser-Beck, weshalb gibt es das Teaching Innovation Lab?
Gestartet sind wir als Projekt. Unsere Aufgabe war, zu eruieren, welche innovativen Lehrformate an der Uni bereits existieren und wie man weitere span-nende Formate gezielt fördern könnte. Wir wollten erfahren, was der Faculty fehlt, um in Bezug auf die Digitalisierung innovativer zu werden. Dabei hat sich gezeigt, dass es für die Dozierenden relativ anspruchsvoll ist, digitale Lehrformate umzusetzen, da neben den meist nicht vorhandenen Ressourcen auch regelmässig unterschiedliche organisatorische Einheiten in ein Projekt involviert sind. Daraufhin hat das Rektorat beschlossen, das Teaching Innovati-on Lab zu schaffen, das quasi als Scharnier zwischen den unterschiedlichen Organisationseinheiten wir-ken soll. Wir arbeiten breit und interdisziplinär: mit Dozierenden, Studierenden, der Administration, der IT und Lehrspezialisten. Uns braucht es, weil sowohl seitens der Faculty als auch seitens der Studierenden ein grosses Bedürfnis für neue innovative Lehrformate besteht, von denen die allermeisten mit Digitalisierung verbunden sind. Welche Anliegen bearbeiten Sie konkret? Sehr unterschiedliche Fragestellungen. Zum Beginn beispielsweise wollten Dozierende einfach nur ihre Vorlesung auf Video aufnehmen. Das ist natürlich nicht besonders fancy, aber für viele war das schon ein grosser Schritt. Dann gab es andere, die ihren Studierenden mehr als einfache Lernvideos mit sogenannten «Talking Heads» bieten wollten. So entstanden Lernvideos im «Digital Storytelling»-Format. Animierte Fallstudien mit wiederkehrenden Charakteren begleiten Studierende während unter-schiedlicher Lernphasen zum Teil über mehr als ein Semester. Das ist bei den Studierenden sehr gut an-gekommen. Wir unterstützen auch Formate, um di-gital Skills unter den Studierenden fördern. Neben Coding Skills kann als Lernnachweis auch mal eine Videoproduktion anstelle der herkömmlichen Pow-erpoint-Präsentation verlangt werden. Es ist uns ein grosses Anliegen, die berufliche Anschlussfähigkeit der Studierenden gewährleisten. Dafür sind digitale Skills unabdingbar, das steht ausser Diskussion. Eine Vorlesung auf Video aufzunehmen, tönt nach einem Schritt in Richtung Digitalisierung in der Lehre, aber eher nach einem kleinen. Die Universität St.Gallen hat sich bereits zu Beginn der Digitalisierungswelle in der Hochschullandschaft klar als Campus-Universität positioniert. Studierende sollen sich auf dem Campus treffen, Ideen austauschen, diskutieren, debattieren, kritisch denken. Das geht nur im direkten Kontakt. In diese Campus-Strategie haben wir früh investiert, indem physische, attraktive Begegnungsräume geschaffen wurden. Wir wollen Studierende anziehen, die einen inspirierenden Campus dem stillen Kämmerlein, in dem sie sich ein Lernvideo anschauen, bevorzugen. Genau wie am Arbeitsplatz zählt auch an der Uni die Kultur. Wir setzen also darauf, beides zu verbinden: Wir sind eine Campus-Uni, die auch digitale Lehrformate anbietet. Welche Möglichkeiten gibt es da? Zahlreiche. Wir unterstützen beispielsweise eine Smartphone-App, über die man in grossen Vorlesungen Fragen stellen kann. Die anderen Studieren-den können die Wichtigkeit der Fragen in der App bewerten. Am Ende der Vorlesung sieht der Dozent auf seinem Gerät, welche Fragen gemäss Studierendenwertung prioritär behandelt werden sollten. Das nennt sich Live-Interaction-System und ist in meinen Augen eine wertvolle Unterstützung: Denn gerade in grossen Vorlesungen trauen sich Studierende oft nicht, mündlich Fragen zu stellen, oder es werden die «falschen» Fragen beantwortet. Die App ermög-licht eine gezieltere Interaktion, was die Qualität der Vorlesung wesentlich verbessert. Schauen dann die Studenten nicht ständig auf die App? Die Gefahr der Ablenkung durch digitale Medien ist eine ständige Herausforderung. Das ist aber nicht nur an der Uni so. Zu Beginn war die Ablenkung auch ein Gegenargument einiger Dozierender. Selbstverständlich kann man nicht ausschliessen, dass Stu-dierende nebst der App auch andere mobile Services während der Vorlesung nutzen. Auf Universitätsstufe sollte man aber erwarten können, dass die Stu-dierenden den Umgang mit der Digitalisierung ge-lernt haben, erzieherische Massnahmen sollten hier keine Rolle mehr spielen. Zurück zu den verschiedenen digitalen Möglichkeiten in der Lehre: Was bieten Sie diesbezüglich noch? Wir stellen gewisse Inhalte als «digitale Konserven» zur Verfügung und möchten dieses Angebot ausbau-en. Die Lernpfade bei Studierenden unterscheiden sich zum Teil erheblich. Ein Beispiel: Bekommen Stu-dierende in einer Vorlesung eine Fixkostenkalkulati-on erklärt, versteht diese der eine in der Theorie so-fort, der andere überhaupt nicht, und der dritte ver-steht es erst, wenn er eine Übung dazu machen kann. Kann man nun diesen Lerninhalt in einem Video an-schauen und vor- und zurückspulen oder bei Bedarf auch eine Übung dazu lösen, ist das sehr hilfreich. Ein solches Szenario ermöglicht, auf das individuelle Tempo der Studierenden einzugehen. In einer tradi-tionellen Vorlesung ist das nur beschränkt möglich. 2016 haben Sie den ersten Versuch mit einer digitalen Vorlesung gemacht. Wo steht das Projekt? Beim Pilot 2016 haben wir mit 50 Studierenden begonnen, in der zweiten Runde waren es 200. In diesem Frühlingssemester war nun der Rollout mit allen 600 BWL-Bachelorstudenten. Sie haben sich die Lerninhalte online erarbeitet und sich anschliessend zu Diskussionsrunden im Hörsaal getroffen, um mit dem anwesenden Professor oder seinen Assistieren-den offene Fragen zu klären. Die Vorlesung war also digital, die Diskussion analog, sogenannt «Blended Learning». Und wie ist es mit Prüfungen? Im Piloten haben wir festgestellt, dass die Prüfungen ein Knackpunkt sind. Mit den ersten 50 Stu-dierenden war das kein Problem, wir konnten die Prüfungen in den Computerräumen abwickeln. Mit 200 Studierenden wurde das bereits schwieriger. Sie mussten die Prüfung auf ihren eigenen Computern, sogenannt BYOD, ablegen. Das wiederum führt zu einigen technischen Herausforderungen: Neben ausreichend WIFI und Strom mussten wir den Studierenden auch ein Plugin zur Verfügung stellen, um ihren Computer in einen «Lockdown»-Modus zu versetzen. Nur so konnten wir sicherstellen, dass sie nicht surfen oder miteinander chatten. Zudem braucht es bei digitalen Prüfungen nicht nur die übliche Prüfungsaufsicht, sondern auch Tech-Experten, die sicherstellen, dass alles reibungslos funktioniert. Kurz gesagt: Der Aufwand ist riesig; digitale Prüfungen sind eine grosse Herausforderung. Ihr Fazit? Unser Fazit war, dass wir kleine Prüfungen gut digital abwickeln können, das versuchen wir derzeit auch. Bei Massenprüfungen wird es schwierig, da stossen wir an unsere Grenzen. Eine Lösung wäre hier ein komplettes Prüfungscenter einzurichten, wie die ETH eines betreibt. Ist das ein Thema? Wir möchten unbedingt in möglichst grossen Kohor-ten digital prüfen können. Wie, ist aber noch unklar. Ein Prüfungscenter wäre eine Option, die wir sicher anschauen werden. Schaut man andere Unis in der Schweiz an, gehen alle unterschiedlich mit dieser Herausforderung um. Es gibt auch viele Institutio-nen, an denen die Studierenden ihre eigenen Lap-tops zur Prüfung bringen können. Dort heisst es dann einfach, dass die Prüfungsaufsichten genau aufpas-sen, ob jemand surft oder chattet. Das ist für die HSG keine Option, unsere Prüfungen sind high stake und wir haben einen Ruf zu verlieren, weshalb wir vor-sichtiger sind. Sie haben vorher von der Digitalisierung an ande-ren Universitäten gesprochen. Wie steht die HSG im Vergleich da? im Schweizer Umfeld sicherlich relativ gut. Aber der Higher-Education-Markt hinkt in der Digitalisierung generell hinterher, wenn man beispielsweise daran denkt, dass selbst Primarschulen heute mit iPads arbeiten. Weshalb? An den Universitäten läuft vieles noch sehr klassisch und traditionell. Universitäten sind Institutionen mit langer Geschichte. Anpassungsprozesse brauchen ihre Zeit. Dennoch lässt sich an der Uni St.Gallen ein gewisser Mentalitätswechsel beobachten. Frü- her war klar, dass der Dozierende vorne stand, der Studierende mitschrieb. Heute ist Interaktion und Betreuung viel Wichtiger. In Bezug auf die Digitalisierung sehe ich nebst dieser «Mentalitätshürde» eine «Infrastrukturhürde»: Weil die Kohorten an der Uni schon immer grösser waren als beispielsweise in der Mittelschule, sind die Lehrgefässe schwerfälliger, was es schwieriger macht, neue auszuprobieren und einzuführen. Und die Digitalisierung ist relativ teuer. Sie sind von Haus aus Juristin. Wie sind Sie in der Digitalisierung gelandet? Ich war schon immer digitalaffin. Das hat damit zu tun, dass ich lange in den USA gelebt habe und da-durch früh mit neuen digitalen Trends in Kontakt gekommen bin. Ich bin grundsätzlich ein sehr kreativer Mensch. Und sich Gedanken darüber zu machen, wie man Lehrformate anreichern kann, ist eine unglaublich kreative Arbeit. Zu einem gewissen Grad aber auch eine analytische Arbeit – ähn-lich wie in der Juristerei eigentlich: Man versucht, eine optimale Lösung mit gegebenen Parametern zu finden. So etwas fasziniert mich. Als ich vor gut vier Jahren für dieses Projekt rekrutiert wurde, habe ich spontan zugesagt und es nie bereut. Mit wenig Tech-Backgrund und in einer Domäne, die eher maskulin geprägt ist, ist es mir persönlich wichtig, Frauen zu motivieren den klassischen Karrierepfad zugunsten einer neuen Herausforderung auch mal zu verlassen. Und wenn man sich fragt, welche Skills in Zukunft besonders gefragt sind… …sind das Kommunikation und Kreativität. Skills, die man vor allem Frauen attestiert. Früher ist jemand weit gekommen, weil er brillant rechnen oder programmieren konnte. Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz macht es zunehmend weniger Sinn, nur auf diese Skills zu setzen. Dieses Bewusstsein will ich fördern. Die Digitalisierung ist kein Allerwelts-Heilmittel, in keiner Branche. Aber sie unter-stützt darin, effizienter qualitativ gute Ergebnisse zu erzielen, die aber auch in Zukunft im gesellschaftlichen Kontext durch Menschen interpretiert werden müssen.
1 Kommentar
|
AutorinJacqueline Gasser-Beck Archiv
Oktober 2019
Kategorien |